Aktuelles
Einhaltung der Jugendhilfestandards im Saarland!
HIER: Stellungnahme der LIGA Saar im PDF-Format
RÜCKBLICK UND AKTUELLE SITUATION
Die Unterbringung, Versorgung und Integration von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) war im gesamten Jahr 2015 eine Herausforderung für die Träger der stationären Jugendhilfeeinrichtungen. Besonders als ab Sommer 2015 eine große Zahl von Flüchtlingen im Saarland eintraf, kam die gesamte Infrastruktur für die Aufnahme der jungen Menschen an ihre Kapazitätsgrenzen. Dieser hohe Druck auf die öffentlichen wie auf die freien Träger verschärfte die Diskussion um die Einhaltung von Standards gemäß den geltenden Jugendhilferichtlinien.
Schon ab 2011 sind im Saarland, als sogenanntem Einreiseknotenpunkt, schwerpunktmäßig im Regionalverband Saarbrücken, große Zahlen von UMA/UMA angekommen. Die Versorgungsstandards für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind im Rahmen des Rechtskreises SGB VIII umfassend verankert. Ebenso werden die jungen volljährigen Flüchtlinge aufgrund ihrer Altersstruktur im Rahmen der Versorgungsangebote des § 41 SGB VIII individuell und bedarfsgerecht versorgt. Im Laufe von mehreren Jahren hat sich hier ein fachliches und den individuellen Bedarfen der UMF/UMA angepasstes, breit ausdifferenziertes Hilfesystem mit unterschiedlicher Betreuungsintensität entwickelt. Die unverzichtbare individuelle Hilfeplanung belegt deutlich, dass die richtigen Maßnahmen für die Zielgruppe umgesetzt werden.
Angebotsformen für UMF/UMA sind z.B. die 7-Tages-Wohngruppen, die Jugend-Wohnge-meinschaften (JWG), sowie Betreutes Wohnen (BeWo). Der überwiegende Teil der jungen Flüchtlinge ist aufgrund bereits erworbener Selbstständigkeitskompetenz in den Hilfeformen JWG und BeWo untergebracht. Nur ein geringerer Anteil der UMF/UMA erhält Hilfe zur Erziehung in einer Wohngruppe mit 24 Stunden-Betreuung.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind in der Regel einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt, insbesondere durch die Unsicherheit über ihren befristeten Aufenthalt in der Vor-Clearingphase und generell über ihren Verbleib in Deutschland. Neben den Fluchttraumata und der Angst vor der Abschiebung hat aber auch ein hoher Prozentsatz der UMF/UMA schon im Kindesalter das Auseinanderbrechen ihrer Familie, den Verlust eines Elternteils durch Krieg oder Gewalt, die Vertreibung oder Flucht aus dem Heimatort erlebt. Alle diese Faktoren bedingen die Notwendigkeit der individuellen Prüfung einer sozialpädagogischen Betreuung und therapeutischen Versorgung innerhalb der Jugendhilfe.
Die Zusammenarbeit zwischen den Jugendämtern und den freien Trägern ist hier als außerordentlich kooperativ und konstruktiv zu bezeichnen. Zudem haben die JH-Träger einen Runden Tisch initiiert. Über dieses Gremium konnte eine gute und kooperative Vernetzungsstruktur auf Trägerebene entwickelt werden, mit stetem inhaltlich-fachlichem Austausch und zeitnaher Absprache der Kapazitätsbedarfe.
Mit hohem Tempo wurde das „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ auf den Weg gebracht und ist zum 01. November 2015 in Kraft getreten. Mit Wirksamkeit dieses Gesetzes findet die Verteilung der UMF/MA nach Königsteiner Schlüssel auf die einzelnen Bundesländer Anwendung. Mit Stand 03. März 2016 sind im Saarland derzeit 1.116 minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung untergebracht, das Soll-Kontingent des Saarlandes beträgt 841 (= 1,22 % gemäß Königsteiner Schlüssel).
Dies hat zur Folge, dass UMF/UMA, die seit dem 01. November 2015 ins Saarland einreisen, nach einem kurzen Vor-Clearing, der sogenannten vorläufigen Inobhutnahme, innerhalb von 7-28 Tagen bundesweit verteilt werden, sofern kein individuelles Verteilungshindernis festgestellt wird (§ 42a SGB VIII).
Mit Schreiben vom 08. Oktober 2015 hat das Ministerium mitgeteilt, dass „insbesondere bei Belastungsspitzen in der Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge bisherige Jugendhilfestandards entsprechend der saarländischen Heimrichtlinien bei der Unterbringung, Versorgung und Betreuung durch die besonders betroffenen Jugendämter nicht mehr durchgängig zu realisieren“ sind.
Im Gesetz Nr. 1881 Haushaltsbegleitgesetz 2016/2017 vom 02. Dezember 2015 verfügt das Land in Artikel 8 „Änderung des Ersten Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (AG KJHG)“, dass die vorläufige Inobhutnahme von UMF/UMA des § 42a SGB VIII ab dem 01. Februar 2016 in seine Zuständigkeit fällt und die bisherigen Aufgaben der Jugendämter in diesem Verfahren ab diesem Zeitpunkt vom Landesamt für Soziales wahrgenommen werden.
Am 08. Januar 2016 hat das Land informiert, dass die Einrichtung „Schaumberger Hof“ ab dem 01. Februar 2016, zunächst befristet für ein Jahr, als neue Landeseinrichtung „Vor-Clearingzentrum für UMF/UMA“ fungiert.
LIGA-POSITIONIERUNG
- Grundsätzlich muss die Umsetzung der Rechte von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auf der Grundlage der UN-Kinderrechtskonvention und auf der gesetzlichen Basis des SGB VIII geschehen: § 1 „Jeder junge Mensch hat das Recht auf Förderung seiner Entwicklung….“.
- Die Zuständigkeit und das Primat der Kinder- und Jugendhilfe für UMF/UMA dürfen nicht in Frage gestellt werden – hierzu gehören u.a. das Fachkräftegebot, Beteiligungs- und Beschwerderechte, die Betriebserlaubnis und die individuelle Hilfeplanung.
- Die Altersfestsetzung für UMF/UMA ohne Papiere ist ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung der Rechte von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Sie sollte sich daher nach den allgemein anerkannten, am Kindeswohl orientierten Standards des Bundesverbandes für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) orientieren (Prinzip der In-Augenscheinnahme) – in Zweifelsfällen ist zugunsten des jungen Menschen von der Minderjährigkeit auszugehen.
- Das Land muss gewährleisten, dass die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge direkt und unverzüglich Kenntnis über ihre/n gesetzliche/n Vertreter/in bereits im Vor-Clearing in der Landeseinrichtung erhalten.
- Die nicht vorgesehene rechtliche Vertretung der Interessen in den ersten vier Wochen des Aufenthalts darf sich nicht zum Nachteil für die UMFF/UMA auswirken. Vor dem Hintergrund der saarländischen Regelung einer Landeseinrichtung für die Vor-Clearingphase ist dies dringend zu präzisieren!
- Bei allen die UMF/UMA betreffenden Fragen, im Besonderen auch bei der Umverteilung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, ist eine dem Wohle des Jugendlichen angemessene Betreuung zu gewährleisten.
- Die Asylrechtliche Begleitung muss kontinuierlich gewährleistet sein.
- UMF/UMA haben in Deutschland das Recht auf den Zugang zu allen Angeboten des öffentlichen Bildungssystems und zu einer altersgerechten Sprachförderung, insbesondere auch im Bereich der berufsbildenden Schulen. Darüber hinaus ist für eine gelungene berufliche Integration der Zugang zu ausbildungsvorbereitenden und –unterstützenden Maßnahmen, unabhängig von ausländerrechtlichen Ein-schränkungen, zu gewähren.
- Die überwiegende Anzahl der UMF/UMA ist über 16 Jahre alt. Diese Zielgruppe bedarf in der Folge der Hilfen nach § 41 SGB VIII für junge volljährige Flüchtlinge über 18 Jahren. Diese Hilfsangebote sind gemäß den individuellen pädagogischen Bedarfen der jungen Flüchtlinge zu gewähren, um den Übergang Schule-Beruf im Sinne einer Stabilisierung der jungen Menschen in Richtung erfolgreicher Bildungsbiographie und damit gesellschaftlicher Teilhabe zu unterstützen.
ABSCHIEßENDE FORDERUNG DER LIGA SAAR
Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege Saar fordert die Einhaltung der Standards der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen. Wir sehen keine Notwendigkeit, für die Zielgruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ein neues Leistungsrecht einzuführen.
Saarbrücken, März 2016